Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

Diese Gruppe umfasst verschiedene Störungen, deren Schweregrad von einer akuten, unkomplizierten Intoxikation und schädlichem Gebrauch bis hin zu psychotischen Störungen oder schweren Abhängigkeitssyndromen reicht. Die Gemeinsamkeit besteht im Gebrauch einer oder mehrerer psychotroper Substanzen.

Leitsymptome:

  • Akute Intoxikation: Ein vorübergehendes Zustandsbild nach Aufnahme von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen mit Störungen von Bewusstsein, kognitiven Funktionen, Wahrnehmung, Affekt, Verhalten oder anderer psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen.
  • Schädlicher Gebrauch: Ein Konsumverhalten, das zu einer Gesundheitsschädigung führt. Diese kann eine körperliche Störung sein, z.B. eine Hepatitis durch Selbstinjektion von Substanzen, oder eine psychische Störung, z.B. eine depressive Episode durch massiven Alkoholkonsum. Diese Kategorie umfasst aber auch Kinder und Jugendliche, bei denen das Konsumverhalten zu einer signifikanten Entwicklungsbeeinträchtigung führt, die also aufgrund ihres Substanzgebrauchs gravierende negative Konsequenzen in Familie, Schule und in ihren Beziehungen zu Gleichaltrigen mit einer Verschlechterung ihres psychosozialen Funktionsniveaus aufweisen.
  • Abhängigkeitssyndrom: Ein entscheidendes Charakteristikum der Substanzabhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente (ärztlicherseits verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak zu konsumieren. Diese Diagnose soll nur dann gestellt werden, wenn 3 oder mehr der folgenden Kriterien in den letzten 12 Monaten mindestens einen Monat lang gleichzeitig bestanden oder während der letzten 12 Monate wiederholt vorhanden waren:
    • Starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren
    • Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
    • Auftreten eines Entzugssyndroms bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, entweder in Form substanzspezifischer Entzugssymptome oder durch die Einnahme der gleichen oder einer nahe verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden
    • Nachweis einer Toleranz: Um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich.
    • Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen
    • Anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutiger körperlich, psychisch oder sozial schädlicher Folgen; dabei sollte festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im Klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist.
  • Entzugssyndrom: Ein Entzugssyndrom kann bei absolutem oder relativem Entzug einer Substanz auftreten, die wiederholt und zumeist über einen längeren Zeitraum oder in hoher Dosierung konsumiert worden ist. Beginn und Verlauf des Entzugssyndroms sind zeitlich begrenzt und abhängig von der Substanzart und der Dosis, die unmittelbar vor dem Absetzen verwendet worden ist. Meistens zeigen sich Schlafstörungen, Gespanntheit, Unruhe, verminderte Impulskontrolle und Affektlabilisierung, vegetative Symptomatik wie Herzklopfen und Schweißausbrüche, gelegentlich Kreislaufbeschwerden. Auch eine deutliche Verschlechterung der Stimmung im Sinne einer depressiven oder gar suizidalen Krise ist möglich. Ein Entzugssyndrom kann durch Krampfanfälle kompliziert werden. In sehr abgeschwächter Form kann eine Entzugssymptomatik Wochen bis Monate fortbestehen, z.B. in Form von innerer Unruhe, Schlafstörungen und Verlangen nach dem Suchtmittel (Craving). Craving kann jedoch auch längere Zeit nach dem körperlichen Entzug noch durch konditionierte Stimuli ausgelöst werden.
  • Entzugssyndrom mit Delir: Das klassische Entzugssyndrom mit Delir, z.B. als alkoholbedingtes Delirium tremens, ist bei Jugendlichen selten zu finden, da die Dauer des Missbrauchs für dessen Entwicklung in der Regel zu kurz ist.
  • Psychotische Störung: Durch psychotrope Substanzen (u.a. Alkohol, Amphetamine und verwandte Substanzen, Cannabis, Kokain, Halluzinogene, Phencyclidin und psychotrope Alkaloide) können psychische Syndrome induziert werden, die nicht substanzinduzierten psychotischen oder wahnhaften Störungen ähneln oder gleichen. Kennzeichnend sind lebhafte Halluzinationen, typischerweise akustische, oft aber auf mehr als einem Sinnesgebiet, Personenverkennungen, Beziehungs- oder Verfolgungsideen sowie Wahn. Psychomotorische Störungen, wie Erregung oder Stupor, sowie ein abnormer Affekt in Form von intensiver Angst, erheblicher Aggression oder auch Ekstase kommen vor. Die Symptome treten gewöhnlich während oder unmittelbar (meist innerhalb von 48 Stunden) nach dem Substanzgebrauch auf, gehen typischerweise innerhalb eines Monats zumindest teilweise zurück, innerhalb von 6 Monaten in der Regel vollständig. Wenn eine substanzinduzierte psychotische Störung mehr als 2 Wochen nach dem Substanzkonsum beginnt, ist sie als "Verzögert auftretende substanzbedingte psychotische Störung" einzuordnen.
  • Insbesondere Störungen durch Alkohol: Bei akuter Alkoholintoxikation kommt es zu affektiver Enthemmung, Aggressivität und Affektlabilität, Stand- und Gangunsicherheit und verwaschener Sprache, bei sehr hohen Blutspiegeln zu Sedierung und Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma. Beim Alkoholentzugssyndrom können vegetative Hyperaktivität, Tremor, Schlaflosigkeit, Übelkeit und Erbrechen, flüchtige visuelle, taktile oder akustische Halluzinationen oder Illusionen, psychomotorische Agitiertheit, Angst und Grand-mal-Anfälle auftreten.
  • Störungen durch Cannabinoide: Eine Cannabisintoxikation beginnt in der Regel mit einem Hochgefühl, gefolgt von unangemessenem Lachen und Gefühlen von Großartigkeit, Sedierung und Lethargie, Beeinträchtigungen von Reaktionsgeschwindigkeit, Kurzzeitgedächtnis und Urteilsvermögen, verlangsamtem Zeiterleben. Manchmal kommt es zu Dysphorie, Angst, Misstrauen und paranoiden Vorstellungen. Bei höherer Dosis können auch akustische, optische oder taktile Illusionen oder Halluzinationen bei erhaltener Orientierung, Depersonalisation und Derealisation sowie eine drogeninduzierte Psychose auftreten. Somatische Symptome einer akuten Cannabisintoxikation sind Augenrötung, Appetitsteigerung, Mundtrockenheit und Tachykardie. Eine Cannabisentzugssymptomatik manifestiert sich in starkem Verlangen nach erneuter Einnahme von Cannabis, Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität, Schlaflosigkeit, Träume mit ungewöhnlichen Inhalten ("strange dreams"), Appetitminderung und Gewichtsverlust [Budney et al. 2004].